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EuGH-Vorlage: Dürfen Bußgelder gegen Unternehmen verhängt werden?

Was klingt wie ein schlechter Scherz – hat aber das Potential zum „Hammer“.

Ein Bußgeldbescheid in Millionenhöhe einer Aufsichtsbehörde wird von Gerichten kassiert, weil der Bescheid nach der Datenschutzgrundverordnung falsch ausgestellt sei und gegen das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten OWiG verstößt. Die  Staatsanwaltschaft legte umgehend Berufung ein. Das Entscheidung wird durch das Kammergericht Berlin dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.

Was ist passiert?

In Kurzform: Die Deutsche Wohnen, ein Berliner Immobilienunternehmen, hat bei einer Vorort-Prüfung die Aufforderung der Berliner Datenschutzbehörde erhalten, die nicht mehr benötigten Daten der MieterInnen zu löschen.

Bei diesen Daten handelt es sich z. B. um Identitätsnachweise (z. B. Personalausweiskopien), Bonitätsbelege (z. B. Kontoauszüge), Gehaltsbescheinigungen, Arbeitsnachweise, Steuer-, Sozial- und Krankenversicherungsdaten sowie Angaben zu Vormietverhältnissen.

Nach einem Jahr fand eine Nachprüfung der Behörde statt: da nach der ersten Prüfung nichts gelöscht wurde, gab es ein Bußgeld in Höhe von 14.385.000 € – und da auch gegen Einwilligungen nach Artikel 6 DSGVO in 15 Fällen verstoßen wurde, kamen noch einmal Geldbußen zwischen 3.000 und 17.500 € hinzu.

Erfolgreiche Klage dagegen

Die Deutsche Wohnen klagte und bekam beim Landgericht Berlin Recht, weil der Bußgeldbescheid „fehlerhaft“ sei:

Auf den Einspruch des betroffenen Unternehmens hat das Landgericht Berlin das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a StPO eingestellt. Das Landgericht vertritt die Auffassung, der Bußgeldbescheid leide unter so gravierenden Mängeln, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne.

Namentlich könne eine juristische Person nicht Betroffene eines Bußgeldverfahrens sein, auch nicht in einem solchen nach Art. 83 DS-GVO. Eine Ordnungswidrigkeit könne nur eine natürliche Person vorwerfbar begehen. Der juristischen Person könne lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden. In einem Bußgeldverfahren könne eine juristische Person daher nur Nebenbeteiligte sein.

Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sei in § 30 OWiG abschließend geregelt, der über § 41 Abs. 1 BDSG auch für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DS-GVO Anwendung finde. Danach könne entweder in einem einheitlichen Verfahren gegen die juristische Person eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn gegen das Organmitglied oder den Repräsentanten, also die natürliche Person, ein Bußgeldverfahren durchgeführt werde oder aber nach § 30 Abs. 4 OWiG in einem selbstständigen Verfahren.

Was heißt denn „fehlerhafter“ Bußgeldbescheid?

Zitat aus dem Urteil:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin hätte Erfolg, wenn ein Verfahrenshindernis nicht bestünde. Dies wäre vor dem Hintergrund des § 66 Abs. 1 OWiG der Fall, wenn der Bußgeldbescheid eine ausreichende Grundlage für das Bußgeldverfahren bildete. Nach dieser Vorschrift muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649). Diese Voraussetzungen könnte der Bußgeldbescheid verfehlen, wenn unter Geltung des § 30 OWiG ein Bußgeldverfahren gar nicht unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden könnte und die Verhängung einer Geldbuße gegen ein nur „verfahrens-“ oder „nebenbeteiligtes“ Unternehmen nach § 30 Abs. 1 OWiG davon abhinge, dass eine natürliche Person als so genannter Repräsentant die – im Bußgeldbescheid gegebenenfalls konkret zu bezeichnende – „Anlasstat“ zurechenbar deliktisch begangen hätte.

Die Frage: DSGVO vor OWiG?

Die Frage ist nun auch, wie weit Unionsrecht vor nationalem Recht Vorrang hat.

In der herrschenden Rechtsliteratur wird darauf abgestellt, aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts ergebe sich, dass die durch Art. 83 DS-GVO gewollten und vorgegebenen supranationalen Grundsätze der Unternehmenssanktionierung normativ leiteten. Schließlich sei die DS-GVO eine im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassene Verordnung der Europäischen Union. Als Sekundärrecht der Union habe sie allgemeine Geltung; sie sei in allen ihren Teilen verbindlich und gelte unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art. 288 AEUV). Bereits dieses Primat streite dafür, dass sich die Zurechnung von Verstößen zu Verbänden nach den anerkannten unionsrechtlichen Maßstäben und nicht nach überkommenen nationalen Zurechnungsgrundsätzen (hier: § 30 OWiG) richte (vgl. Brodowski/Nowak in BeckOK DatenschutzR 37. Ed., § 41 BDSG Rn. 11; Bergt in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG 3. Auflage 2020, § 41 BDSG Rn. 7).

Der Europäische Gerichtshof bewertet

Der dem EuGH vorzulegende Fall des Kammergerichts Berlin: 3 Ws 250/21 vom 06.12.2021, 3. Senat für Bußgeldsachen, berührt schon Grundfesten des Rechtsverständnisses. Zum Beispiel, ob Bußgeldbescheide in der aktuellen Form gegen Unternehmen gültig sind.

Die Entscheidung wird sicher erst im 4. Quartal 2022 fallen – wir dürfen gespannt sein.

 

Links

  • Kammergerichts Berlin: 3 Ws 250/21 vom 06.12.2021, 3. Senat für Bußgeldsachen – Link




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